Institutsleiter Dr. Frank Wild zur Bertelsmann-Studie

21.02.2020

Der Institutsleiter des WIP, Dr. Frank Wild, beantwortet Fragen zur aktuellen Bertelsmann-Studie "Geteilter Krankenversicherungsmarkt - Risikoselektion und regionale Verteilung der Ärzte"

Frage: Die Bertelsmann-Studie zielt erkennbar stark auf das Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung, man könnte auch sagen auf ihre Neidreflexe. So wird die Private Krankenversicherung als unsolidarisch bezeichnet, weil ihre Versicherten besser verdienen würden als die gesetzlich Versicherten und dazu auch noch gesünder wären. Um mit dem letzten Punkt anzufangen: Sind Privatversicherte wirklich gesünder?


Dr. Wild: Die in der Studie aufgezeigten Unterschiede sind minimal und vielfach nicht signifikant. Bei Erkrankungen wie Krebs, Bluthochdruck und Demenz liegt der Anteil der betroffenen Versicherten in der PKV sogar höher als in der GKV. Die Gegenüberstellung der Bedeutung einzelner Krankheitsbilder auf Basis von SOEP-Daten ist jedoch insofern schwer zu beurteilen, da keine Altersadjustierung vorgenommen wurde und sich die Altersstruktur von PKV und GKV durchaus unterscheidet. Bei der Berechnung der hypothetischen GKV-Ausgaben für Privatversicherte zeigt sich dann in der Bertelsmann-Studie auch gleich ein Widerspruch: Die Leistungsausgaben der Privatversicherten sind hier nämlich höher als die der GKV-Versicherten, so dass Privatversicherte bezüglich der Leistungsausgaben sogar ein schlechteres Risiko darstellen.


Frage: Und wie sieht es mit dem Einkommen aus?

Dr. Wild: Es ist voranzustellen, dass auf der Einnahmenseite die gesetzlichen Regelungen zum Zugang zur PKV maßgeblich sind. Die PKV fordert bereits seit längerem eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze, damit auch Personen mit geringerem Einkommen in die PKV wechseln können. Unabhängig davon möchte ich aber noch auf Folgendes hinweisen: Die GKV erhält be-reits seit vielen Jahren einen Steuerzuschuss, der sich momentan auf 14,5 Mrd. € beläuft. An der Finanzierung dieses Steuerzuschusses beteiligen sich Privatversicherte überproportional und dabei fließt dieser Zuschuss ausschließlich in die GKV und nicht in die PKV. Diesen finanziellen Beitrag der Privatversicherten, der die Solidaritätsdiskussion sehr stark relativiert, übersieht die BertelsmannStudie völlig.


Frage: Bertelsmann rechnet vor, dass in der GKV pro Kopf und Jahr 145 Euro Beitragssen-kung möglich wären, wenn auch die heute Privatversicherten dort Mitglied wären. Stimmt das?

Dr. Wild: In der Bertelsmann-Studie geben die Autoren selbst zu, dass man realistischerweise davon ausgehen muss, dass das Vergütungsvolumen für Ärzte in der ambulanten Versorgung unverändert bleibt. Das heißt, sie distanzieren sich eigentlich bereits selbst von dem 145 € - Betrag. Sie berücksichtigen deshalb in einem zweiten Szenario noch den WIP-Mehrumsatz für die ambulant-ärztliche Versorgung in Höhe von 6,3 Mrd. €, wodurch die berechnete Beitragssatzsenkung auf minimale 0,2 % schrumpft. Selbst diese Korrektur ist aber noch unvollständig. Auch in den übrigen Sektoren wären in einer Bürgerversicherung Kompensationen durch Einnahmenausfälle notwendig. Eine 145 € Beitragssenkung würde nur dann erreicht werden, wenn in hohem Maße Geld aus dem Gesundheitswesen abgezogen würde. Letztlich wäre dies nichts anderes als eine Rationierung von Leistungen im derzeitigen System und diese führt rein rechnerisch natürlich zu Einsparungen. Wir sprechen immerhin von einem Mehrumsatz von insgesamt 13,2 Mrd. €, der durch die Existenz der PKV zusätzlich im Gesundheitssystem zur Verfügung steht. Dieser Mehrumsatz beeinflusst in nicht unerheblichem Maße positiv die medizinische Versorgung.


Frage: Apropos medizinische Versorgung: Bertelsmann will herausgefunden haben, dass es weniger Probleme gäbe, Landärzte zu finden, wenn es keine Privatversicherten gäbe. Was ist dazu aus wissenschaftlicher Sicht zu sagen?

Dr. Wild: Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Literatur zu diesem Thema. Aus dieser geht sehr deutlich hervor, dass die Niederlassungsentscheidung der Ärzte vor allem von regionalen Jobmöglichkeiten für den Partner, von Bildungs- bzw. Betreuungsangeboten für die Kinder sowie von attraktiven Freizeitangeboten abhängig ist. Auch der Blick in andere Länder verdeutlicht: Ärzte sind überall ungleich verteilt und dies ist offensichtlich unabhängig davon, wie die Gesundheits-systeme finanziert werden oder wie die Ärztevergütung ausgestaltet ist.

Im Übrigen gelingt es Bertelmann auch nicht, ihre alternative These zu belegen. Die Effekte in ihrem Regressionsmodell sind sehr klein und überwiegend nicht signifikant. Die Autoren müssen nicht nur vielfach Limitationen einräumen, sondern darüber auch selbst zugeben, dass sie nichts zur Kausalität sagen können.


Frage: Was spricht denn außer dem erwähnten Mehrumsatz der Privatversicherten noch für eine Beibehaltung des dualen Systems von Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung?

Dr. Wild: Gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ist die Bildung von Alte-rungsrückstellungen, wie es die PKV macht, ein sehr wichtiges Element, um die Gesundheitsversorgung in unserem Land auch zukünftig auf dem jetzigen Niveau garantieren zu können. In einem umlagefinanzierten System kann bei einer Alterung der Bevölkerung der Leistungskatalog nur durch eine zunehmende finanzielle Belastung der jüngeren Generation erhalten werden. Das Umlagesystem der GKV und das Kapitaldeckungsverfahren der PKV ergänzen sich sehr gut und führen zu einer Diversifikation von Risiken.
Darüber hinaus haben wir im WIP bereits in einer Reihe von Studien gezeigt, dass die PKV einen wichtigen Beitrag dazu leistet, dass Innovationen schneller in der Versorgung ankommen und damit auch gesetzlich Versicherten eher zur Verfügung stehen. Hier möchte ich vor allem auf unsere Untersuchungen zu Arzneimittelversorgung hinweisen. Bereits allein die Existenz der PKV wirkt als wichtiges Korrektiv und als Wettbewerbsfaktor zur GKV.

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